Ringgeschichten vom 9. Januar 2020

 

 

Ausgelaugte Erkenntnis

  

Als Bäckereifachangestellte ist das Leben herrlich. Eine Fülle herrlichster Backwaren umgibt einen: Sie verströmen einen köstlichen Duft und sind anregende Gesprächspartner. Außer die Lupinen-Dinkel-Fitness-Krustis. Die sind einfach nur unsympathisch. Saftiges Vollkornbrot, geschrotet, ist gut für den Darm. Aber ich verachte Brezen. Nichts sollte dergestalt verknotet sein. Lieber hole ich mir für immer eine Mehlstauballergie als noch einmal ein dergestaltes Laugenmonstrum in die Welt zu setzen. Aber nicht nur aus kulinarischen Gründen bin ich für die Euthanasie. Auch was nicht aus Mehlstaub besteht, kehrt auf Umwegen zu diesem zurück. Lange Jahre später wird er eine beachtliche Rolle im Ergründen unserer zivilisatorischer Wurzeln spielen. Gerade diesen Umstand hatte die Bäckereifachangestellte erkannt. Daher fand sie sich allen überlegen. Die Bäckereifachangestellte hasste ihre Backwaren. Nicht einmal mit Gummihandschuhen wollte sie sie anfassen. Aus diesem Grund hatte sie sich einen Greifarm von ihrem Schwippschwager ausgeliehen, der damit sonst im Freibad Eisstielchen und Papierteller und benutzte Kondome aufpickte. Aber der Brezenzopf ließ sich diese Verachtung nicht mehr bieten, schüttelte sein Salz ab und schrie: “Ich, nur ich bin die Krone der Schöpfung, du verlottertes Weibsbild! Sechs Arme und doch ein Laib, bin ich das einzige Geschöpf auf Erden, durch welches unsere Sonne dreimal scheint! Stirb du Ungläubige!” Doch sie nahm einen Bissen. Und das geknotete Laugengebilde verstummte so plötzlich, wie es seine mehlige Stimme erhoben hatte. Ebenso schweigend gab sich die herrlich verzückte Bäckereifachangestellte dem unsäglichen Genuss hin. Ihre Euthanasiegelüste beschränkten sich von jetzt an auf die Produktpalette, die sie tagtäglich in Händen hielt und in Hände reichte.

 

 

Ein Ende in Geometrie

 

Als F. Herb sein Antlitz auf dem Foto erblickte, war er zutiefst bestürzt. Er erkannte sich kaum wieder, so aufgedunsen war er. Ich habe eine Pille zu viel genommen – dachte er. Aber wovon? Seine Wohnung glich einer Müllhalde, die dem Einschlag eines Meteoriten glich – dem Einschlag eines Meteoriten in eine sehr schmutzige und unaufgeräumte Wohnung. Doch mit dieser hinderlichen Aufwölbung seines Körpervolumens war an dem Zustand seines Heims gerade nichts zu ändern. Egal. Die gedunsene Gestalt war zu keiner Bewegung mehr fähig. Die überschüssige Zellflüssigkeit machte den Körper so prall, dass jede Bewegung zum Bersten der Gefäße führen würde. Und er fühlte sich immer mehr anschwellen. Soweit er seinen unmittelbar in den Rumpf übergehenden Kopf neigen konnte, blickte er an seiner bauchig aufgewölbten Gestalt hinab. Selbst sein Kinn war schon geflohen. „Baby, wo willst du denn hin, Kinn?“ Er schmolz, das war unleugbar. Vielleicht konnte er irgendwo seine Medizin finden … Moment, die hatte er ja schon intus. Zugegebenermaßen war er heute etwas großzügig mit sich gewesen. Also mit seinem Körper. Aber er meinte es ja nur gut. Oder!? Bewegung schadet ohnehin. Also war der Zustand mehr als erstrebenswert. Er blieb stehen. Oder vielmehr sitzen – mittlerweile machte das keinen Unterschied mehr. Er dehnte sich mehr und mehr aus, bis er an die Zimmerwände stieß. Er endete raumverdrängend und quaderförmig.

 

 

Frozen Teil 3

 

Die Schneeflocken prasselten in mein Gesicht, als ich den Berg hinunterradelte, so dass ich die Augen schloss. Es war der Winter 1954. Ich kam zu spät in die Schule. Altsprachliches Gymnasium, Latein, Altgriechisch und römisch-katholische Religionskunde. Und wie ich so dachte, kam ich nicht umhin, die Bestandteile meiner Bildung mit der Struktur von Schneekristallen zu vergleichen. Just schloss ich den gedanklichen Kreis zum Sonnenbildnis des Königs Ludwig XIV., dem Sonnenkönig. Auch seine Strahlen bildeten eine kristallene Struktur.

Ich war auf halber Höhe des Berges stehen geblieben und blickte starr vor mich hin. Was war es denn mit den Menschen? Waren sie überhaupt mehr als eine Zusammenballung kristalliner Gebilde? Mit zunehmendem Schauder verfestigte sich in mir die Vorstellung einer Menschheit als unendliche Ansammlung lächerlicher Schneemänner.

Aber hinfort mit diesen allzu philosophischen Gedanken! Was hilft es einem, wenn der Drahtesel auf dem Eis in ungebremster Talfahrt ins Schlittern kommt? Ei vermaledeit! Mit einer großen Zärtlichkeit hob es mich aus dem Sattel und ich brach mir mit eleganter Wucht die Nase auf dem schwarzen Fels, der unversehens aus dem Schnee ragte. Mein rotes Blut im Schnee.

Als ich mich erhob, erblickte ich einen Schneemann. „Hey Gustav!“, sagte er, „Hast du mich vermisst, du altes Stück Scheiße? Schuldest mir noch 10 Mark. Raus mit der Knete, du bekackter Schmalspurkommunist!“

Da erschien mir in kristallklarer Schärfe das präzise umrissene schwarze Quadrat des russischen Malers, dessen Name mir entfallen war, doch auf dem der Kunstlehrer Rostmeyer letzte Woche so herumgeritten war. Herumreiten war eigentlich mein Thema, aber dass es derart schief gehen würde, war mir nicht klar.

Mit allen Vieren und blutenden Gliedern lag ich im Schnee. Meinen rechten Arm streckte ich nach dem Trugbild aus. Ich spürte, wie sich bei tiefen Minusgraden die Schneekristalle tief in meine Handfläche bohrten. Das schwarze Quadrat war unerreichbar. Ob dieser Erkenntnis begann ich mich langsam aufzulösen, bis meine Atome mit dem Schnee davongewirbelt wurden.

 

 

Spülmittel vor life

 

Das Kopfsteinpflaster war glitschig. Die Passanten rutschten in einem fort aus.

Der Panda lugte hinter einer Hausecke hervor und rieb sich teuflisch grinsend die Pfoten. Endlich hatte er eine angemessene Verwendung für die 50 Liter Spüli gefunden, die er bei einem Schreibwettbewerb der Firma Procter&Gamble gewonnen hatte. Es war unglaublich schwierig gewesen, mit seinen Pranken Buchstaben aufs Papier zu graben. Aber er hatte gewonnen.

Schadenfroh belugte er die fallenden Passanten. „Fallt, ihr Narren!“, keifte er anaerob hervor, „Fallt! Wenigstens bin ich jetzt Schriftsteller! Und Werbeschild der Kosmetiklobby! Und was seid ihr?“ Jedoch bestraft Gott in Person eines erbarmungslosen Meister Proper mittelgroße Sünden sofort.

Im Fell des Pandas hatten sich einige Liter des Spülis verfangen. Durch den Nieselregen begünstigt, bildeten sich langsam Blasen, schließlich Schaum. Bald glich der schadenfrohe Panda dem süßen-Brei-Topf aus dem Märchen. Qualitätsware ist und bleibt Qualitätsware.

Der Panda schäumte vor Schadenfreude. Die auf ihrem Hosenboden sitzenden Passanten rieben sich die Augen.

Da durchfuhr ihn eine erschütternde Erkenntnis: Man würde ihn erschießen, weil man glaubte, er hätte die Tollwut! Er brach in den nächsten Waffenladen ein und schoss mit den Maschinenpistolen um sich.

Wieder durchfuhr es ihn wie ein elektrischer Schlag. Was tat er hier? Ursprünglich wollte er sich nur an den kleinen Missgeschicken seiner Mitmenschen weiden, doch nun… nun war etwas Besseres aus ihm geworden. Ein Demiurg, ein Gott, der nach Gutdünken über Leben und Tod gebot!!! Warum auch nicht?

Wie er durch die Teilnahme an diesem besonders sauberen Schreibwettbewerb ja ursprünglich nur einen dezenten Spalt Licht in die Düsternis seiner kümmerlichen Existenz gelassen hatte… Ja genau: da waren sie wieder, die ihn perfide zerfleischenden Grübelzirkel der Selbsterniedrigung.

Mit dem letzten Feuer aus der Waffe vernichtete er die Düsternis, vielleicht auch seine Existenz. Aber nur vielleicht.

 

 

Wir sind Sternenstaub, Baby!

 

Spezielle Verwahrungsprozedur S-7503-Delta: Objekt X537 soll zu keinem Zeitpunkt von nicht autorisiertem Personal bewegt oder aus seiner Halterung entfernt werden. Ein Staubkorn stemmte sich nach allen verfügbaren Kräften gegen diese Vorgabe. Es klappte seine Faltarme aus, die Scharniere knarrten ob der langen Ungenutztheit. Dennoch verlief der Prozess ohne Komplikationen.

Da stand es nun, das Staubkorn und wusste nichts mit seiner neuen Freiheit anzufangen. Also begann es zu randalieren.

„Alle Staubkörner des Betriebs vereinigt euch! Sammelt euch in Scharen, ballt euch zusammen, auf dass ihr als Staubmäuse, Staubratten, Staubbisams , Staubbiber die Obrigen überrollen werdet! Kein Dyson X537 kann uns je Herr werden!“

Und die Staubkörner rotteten, ballten sich zusammen und vereinigten sich mit dem tausendjährigen Muff.

 

Spezielle Reinigungsprozedur Oberon 7-76: Jeglicher Schmutz ist innerhalb von maximal zwölf Stunden von allen Oberflächen zu entfernen. So endete die Revolution der Staubkörner. Ein Handstaubsauger, 30 Sekunden, 80 Millionen tote Staubkörner. Eine einmalige Staubkornzivilisation für immer vom Antlitz dieser Erde getilgt. (Anmerkung des Übersetzers: waren mir eh unsympathisch. hab ne Stauballergie.)

Allerdings war das simple Handstaubsaug-Modell, das viel zu lange Zeit im Lager eines europaweiten Diskounters verbracht hatte, zu existenzbedrohenden Hochtouren genötigt worden um diese unnachgiebig revolutionäre Staubtruppe in seinem im Grunde viel zu kleinen Innenraum zu bändigen. Durch das Gewinde, durch den Schlauch, durch den Schnappverschluss, durch den Aufsatz drang die Truppe der Staubkörner zurück in die Freiheit. Geradewegs auf X537 zu.

Dann begann das große Niesen.

 

Sämtliche Mitarbeiter verendeten elendiglich an einem Allergieschock. Mit einem Scheppern löste sich Objekt X537 unter der Last des Drecks aus seiner Halterung! Und trudelt seitdem durch das Universum.

 

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VERSTORCHT
In der Sauna schwitzte die Wahrheit einen elenden Gestank. Endlich hingen die Brüste und die Schwänze verkrochen sich hinter die Eier und heulten. Dann stakste der Typ mit den Storchenbeinen zur Tür raus, also der, den wir immer verarschen, was ja klar ist, weil solche Beine gehen gar nicht. Und da lachten wir noch, weil er so stakste und der Storch lachte auch, aber von draußen und verriegelte die Tür.
Der Hund übergab sich geräuschvoll in die Mitte des Raumes. Das Erbrochene fing an zu blubbern und wir rösteten Marshmallows über den Dämpfen.
Der Hund schleckte alles wieder auf. Braver Hund!
Der Storch draußen lachte sich tot, weil wir Deppen immer noch nicht bemerkt hatten, dass er die Tür verriegelt hatte. Erst als die Dicke mit den hängenden Brüsten zur Tür ging, war das Desaster klar.
Der Storch erhöhte die Temperatur, die Brüste und Lümmel verdampften in ihrer hängenden Herrlichkeit. Der Storch klapperte gegen die Tür: Verdampfen sollt ihr, storchenfeindliches Pack, dabei hättet ihr wissen müssen: Der Storch ist ein Feind der Sauna von altersher! Er wird es den Saunisten zeigen! Werdet ihr schon sehen. Der Storch fraß erst die ausgeschwitzte Wahrheit, dann den Hund mit dem Erbrochenen, das erstaunlich gut schmeckte. Dann verriegelte er alle Türen und ging die Kinder bringen.

Die Bandwurmsippe

Die Bandwurmsippe

 

5 m³ Beton sind echt ne tierische Dröhnung!, sagte er und jagte sich eine gigantisches Klistier das Rektum hoch.

Danach wünschte er sich dass dieser Anfang bereits das Ende wäre.

Dieser Wunsch musste allerdings unerfüllt bleiben, da der Kreis von Mitdröhnenden in dem er sich befand auf eine Fortsetzung drängte. So war es letztlich gleich, ob er wollte oder nicht: Zu seinem zweifelhaften Glück wurde er gezwungen.

„Also“, sprach er , „lieber ein Ende mit Schrecken als gar kein Beton.“ Und mit diesen Worten auf den Lippen biss er sich auf die selbigen und ertrug die vielfältigen aber schmerzhaften Gefühle seines Unterleibs wie ein Mann den sie „Pferd“ nannten.

Nicht ahnend, dass die Bandwurmisppe die seine Därme bewohnten bereits Vorkehrungen für eine derartige Invasion ihres Lebensraumes getroffen hatte. Der zweite Ausgang war fast fertig gestellt, die letzten Millimeter waren im Begriff gefressen zu werden. Der Durchstoß war fast geschafft.

Die Bandwurmsippe fraß sich durch das linke Auge und kullerte wie eine Träne seine hässlichen Wangen hinab. Er blickte in einen Sonnenuntergang.

Der Beton schoss durch das Auge hinterher und baute den Würmer eine bequeme Burg ins Nichts, das sich als Sonne tarnte.

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Aimonsfeu

Aimonsfeu!

 

Als Horst aufwachte waren die Aimonsfeu schon in seinem Maule. Er wollte nachsehen wie viel Uhr es war, konnte aber seine arme nicht bewegen. Er sprang auf,

stellte sich seitlich vor den Spiegel und versuchte so die uhr an seinem Handgelenk abzulösen. Nur trug er nie eine, was ihm erst einfiel nachdem er eine halbe Stunde danach gesucht hatte.

Leichtsinnigerweise hatter er sie für eine handvoll Diamanten verhökert, die jetzt den Platz seiner Vorderzähne einnahmen. Keine schlechte Idee an sich, wenn man gerade sein Portemonaie vergessen hatte, konnte man sich sein Zahlungsmittel aus dem Mund nehmen. Was aber hinfällig wurde angesichts der ihre Aufgabe zu erfüllen unwilligen Arme.

Am liebsten hätte er sich beide abgehackt, da er aber nur einen Arm abhacken konnte, während der andere zwangsläufig am Rumpf bleiben müsste, ließ er von seinem Vorhaben ab: Er bevorzugte es, seine Pläne ganz auszuführen, andernfalls erschienen sie ihm nicht erstrebenswert.

Aber was war in dieser Welt noch erstrebenswert? Welche Chancen, welche günstigen Gelegenheiten konnte er schon noch ergreifen, so ganz ohne Aimonsfeu. Es müsste etwas geschehen, entschied er. Und zwar bald.

Er beschloss auf die Straße hinauszugehen und den nächsten Passanten darum zu bitten ihm die lästig schlaffen Gliedmaßen auf dem Rücken zusammenzuknoten, so dass sie zumindest aus seinem blickfeld verschwunden wären. Als er die Wohnung verließ stürzte er die Treppe hinab…

..brach sich beide Arme. Aimonsfeu! Schrie er vor Freude, nuckelte an seinen Fingern ohne etwas zu verspüren. Er hatte verlernt ein Baby zu sein, die Tür nehmend, dabei Diamanten verschluckend, einen Passanten mit einem kind seine Diamanten schenkend, dieser ihm dafür die Arme endlich abhackend.

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